Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Bildungsmaterialien
Annika Spahn studierte Europäische Ethnologie, Islamwissenschaften und Gender Studies an der Universität Freiburg. Aktuell promoviert sie zu heteronormativer Gewalt in der Sexualmedizin an den Universitäten Basel und Freiburg und leitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin das Projekt „Hochschule lehrt Vielfalt!“ an der TU Braunschweig. Sie war lange ehrenamtlich bei FLUSS Freiburg tätig, einem Projekt, das Aufklärung zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt an Schulen leistet, und koordinierte 2017 eine Arbeitsgruppe zu LSBTIQ*, sexueller Bildung und Gewaltprävention für die Konferenz „Can sex education stop gender based violence?“ des britischen Think Tanks „Gen Pol". Außerdem gründete sie 2012 das „Queer Lexikon“ – eine Online-Anlaufstelle für lsbtiq* Jugendliche.
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[Einblendung des Schriftzugs „Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Bildungsmaterialien“, unten links im Bild erscheint das Logo des Regenbogenportals. Danach wird die Frage „Was sind LSBTI*-inklusive Bildungsmaterialien?“ eingeblendet. Annika Spahn, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Braunschweig und Verfasserin des Queer Lexikons, spricht. Sie sitzt in einem hellen Raum. Im Hintergrund steht ein Regal, auf dem Bücher liegen und eine Vase steht.]
„Ein Bildungsmaterial ist dann LSBTI*-inklusiv, wenn es zum einen die Themen erstmal aufgreift – das wäre ja der erste Schritt, dass Jugendliche und Erwachsene, die lsbti* sind, sich auch wiederfinden in den Materialien. Es muss aber natürlich auch gut gemacht sein. Und dazu gehört zum Beispiel, dass keine Stereotype reproduziert werden, dass keine Beleidigungen reproduziert werden und dass das Ziel ist, Diskriminierung abzubauen, Stereotypen entgegenzuwirken.“
[Die Frage „Was ist bei der Konzeption wichtig?“ wird in der rechten Seite des Bildes eingeblendet. Annika Spahn spricht erneut.]
„Wenn ich LSBTI*-inklusive Bildungsmaterialien erstelle oder anwenden möchte in meinem Unterricht, ist das oberste Ziel, Homo-, Trans- und Interfeindlichkeit abzubauen und Stereotypen entgegenzuwirken. Das bedeutet, wenn ich einen Text über Trans* habe, dann kann ich den nicht mit einem Bild von einer Dragqueen bebildern, sonst entsteht einfach das Bild, dass das dasselbe sei oder dass es da überhaupt keinen Unterschied gibt – das verfestigt Stereotype. Und wenn ich zum Beispiel eine Übung mache, mit der ich Jugendlichen vermitteln möchte, wie es sich anfühlt, beschimpft zu werden, dann wird es schwierig für die lsbti* Jugendlichen, die im Raum sitzen und sich das nochmal anhören müssen. Daran muss ich denken.“
[Rechts im Bild erscheint die Frage „Wie arbeitet man gut mit ihnen?“, auf die Annika Spahn antwortet.]
„Ich finde zwei Punkte ganz besonders wichtig für Lehrende, wenn sie mit LSBTI*-inklusiven Bildungsmaterialien arbeiten wollen. Der eine Punkt ist, dass man sich selber reflektiert haben muss, also dass man schauen muss: Welche Meinung, welche Einstellung habe ich selber gegenüber lsbti* Personen und wie beeinflusst das auch das, was ich sage und was ich tue in der Klasse? Der andere ist, dass es Hintergrundwissen braucht: Ich kann nicht über LSBTI* unterrichten, wenn ich gar keine Ahnung vom Thema habe – und vor allem kann ich in so viele Fallen tappen, dass es im Zweifel sogar schlechter ist, als wenn ich nichts gemacht hätte.“
[Links oben im Bild wird die Frage „Was sind die positiven Auswirkungen?“ eingeblendet. Annika Spahn führt ihre Ausführungen fort.]
„Ein großer Pluspunkt beim Einsatz von LSBTI*-inklusiven Bildungsmaterialien ist, dass ich damit Gewalt und Mobbing etwas entgegensetze und präventiv etwas dagegen tue. Das heißt, ich kann ein Schulklima schaffen, wo Menschen gut miteinander umgehen, wo es weniger Konflikte gibt und weniger Gewalt gegenüber einzelnen Schüler*innen und Schüler*innengruppen. Das finde ich ein großes, großes Plus daran.“
[Die Frage „Für wen sind sie wichtig?“ wird links unten im Bild eingeblendet. Annika Spahn spricht.]
„LSBTI*-inklusive Bildungsmaterialien sind zum einen natürlich für lsbti* Schüler*innen wichtig, weil sie dadurch Sichtbarkeit bekommen, weil ihre Themen auch mal angesprochen werden, weil sie auftauchen in dem, was sie sind. Aber letztendlich sind sie für alle wichtig, weil auch cis-geschlechtliche und heterosexuelle Jugendliche in ihrem Leben Kontakt zu lsbti* Personen haben werden: in ihrer Familie, im Freundeskreis, bei der Arbeit, in der Öffentlichkeit. Sie lernen dadurch, Vielfalt wertzuschätzen und sie lernen dadurch, offen auf Menschen zuzugehen und Stereotype zu hinterfragen.“
[Das Interview endet mit der Frage „Gibt es ausreichend LSBTI*-inklusive Bildungsmaterialien?“. Annika Spahn wird erneut eingeblendet und spricht.]
„Ich würde sagen, dass es schon einige Bildungsmaterialien gibt, die sich mit dem Thema LSBTI* auseinandersetzen und versuchen, das in den Schulunterricht zu bringen. Dabei gibt es das Problem, dass das oft gut gemeint ist, aber schlecht gemacht ist: zum Beispiel, weil Geschlechterstereotype nur wieder aktualisiert werden; zum Beispiel, weil Bisexualität unsichtbar gemacht wird. Es gibt zu manchen Identitäten überhaupt keine Bildungsmaterialien, zum Beispiel beim Thema Inter*, beim Thema Asexualität, auch beim Thema Trans* gibt es so gut wie nichts. Und die Materialien sind größtenteils inzwischen veraltet: Jetzt, wo wir in Deutschland die Ehe für alle haben, sind viele von denen gar nicht mehr aktuell.“
[Das Interview ist beendet. Auf einem weißen Schlussscreen wird links oben das Logo des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie rechts oben das Logo des Regenbogenportals angezeigt. Unten im Bild steht „Konzeption: ABqueer e.V. – Aufklärung und Beratung zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt, FLMH | Labor für Politik und Kommunikation“ sowie darunter „Umsetzung: Tobias Büchner“.]