Inter* – was?
Intergeschlechtliche (oder auch inter*) Menschen haben körperliche Geschlechtsmerkmale, die sich nicht als nur männlich oder nur weiblich einordnen lassen. Man spricht auch von angeborenen Variationen der körperlichen Geschlechtsmerkmale. Das betrifft zum Beispiel die Geschlechtsorgane, Hormonproduktion oder den Chromosomensatz, die Figur, Haarverteilung oder Muskelmasse.
Intergeschlechtlichkeit kann schon bei der Geburt oder erst später sichtbar werden.
Wie viele inter* Personen gibt es?
Es gibt in Deutschland keine offizielle Statistik über den Anteil von inter* Menschen an der Gesamtbevölkerung. Wissenschaftliche Schätzungen variieren zwischen 0,021 und 1,7 Prozent2 – je nachdem, wie viele Formen von Intergeschlechtlichkeit berücksichtigt werden. Das heißt, dass möglicherweise etwa jedes 60. neugeborene Kind inter* ist.
Auf jeden Fall gibt es mehr inter* Personen in Deutschland als es scheint. Denn viele Menschen legen ihre Intergeschlechtlichkeit nicht offen, um sich vor Diskriminierung zu schützen. Häufig wissen Personen auch nicht, dass sie inter* sind.
Sind inter* Menschen ein drittes Geschlecht?
Nein. Inter* Menschen haben, wie andere Menschen auch, sehr unterschiedliche körperliche Geschlechtsmerkmale. Auch ihre Geschlechtsidentitäten sind von Person zu Person verschieden: Sie können sich als weiblich, männlich, nicht-binär und/oder als inter* identifizieren. Das Sternchen in der Abkürzung „inter*“ soll dieser Vielfalt Ausdruck verleihen.
Ist Intergeschlechtlichkeit eine Krankheit?
Nein.3 Einzelne wenige Formen der Intergeschlechtlichkeit können allerdings mit spezifischen Gesundheitsrisiken verbunden sein. Ansonsten sind inter* Personen so gesund oder krank wie andere Menschen.
Dennoch gibt es in der Medizin Diagnosen für die verschiedenen Formen von Intergeschlechtlichkeit. Sie werden als „Disorders of Sex Development“ (DSD; dt.: Störungen/Varianten der Geschlechtsentwicklung) zusammengefasst. Viele inter* Menschen lehnen es ab, dass ihre Geschlechtlichkeit als „Syndrom“ oder „Störung“ bezeichnet wird. So entstehe nämlich der Eindruck, ihre Körper seien nicht in Ordnung und müssten behandelt werden.
Warum sind medizinische Behandlungen von inter* Personen umstritten?
Inter*-Organisationen in Deutschland haben lange beklagt, dass inter* Menschen häufig bereits im Säuglings- oder Kindesalter operiert oder medikamentös behandelt wurden, um sie geschlechtlich „eindeutig“ zu machen.4 Solche Eingriffe fanden oft ohne zwingende medizinische Notwendigkeit und ohne vorige informierte Einwilligung statt. Sie können nicht rückgängig gemacht werden, oft ziehen sie lebenslange Folgebehandlungen nach sich und beeinträchtigen die Lebensqualität von inter* Menschen erheblich. Internationale Menschenrechtsorganisationen sehen darin eine Verletzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit und sexuelle Selbstbestimmung.
Inwiefern können inter* Personen Gewalt im Gesundheitssystem ausgesetzt sein?
Intergeschlechtliche Menschen wurden in der Vergangenheit häufig pathologisiert und dabei teilweise unnötigen medizinischen Untersuchungen unterzogen, vorgeführt oder fotografiert.5 Nicht nur die nicht immer notwendigen operativen und medikamentösen Behandlungen haben bei vielen inter* Menschen Spuren hinterlassen; auch der menschenunwürdige Umgang der Medizin mit geschlechtlichen Varianten sowie der gesellschaftliche Druck, dem dominanten binären Geschlechterverständnis zu entsprechen, der über die Eltern an inter* Kinder weitergegeben wurde, trägt seinen Teil bei. Langwierige gesundheitliche Probleme und Traumatisierung bis hin zur Erschütterung der eigenen Identität können die mitunter lebenslangen Folgen für inter* Menschen sein.
Nicht zuletzt durch das Engagement von Nichtregierungsorganisationen kommt es mehr und mehr zu einem Umdenken in der Gesellschaft und in den medizinischen Fachdisziplinen, was sich zum Beispiel darin äußert, dass Intergeschlechtlichkeit nicht länger als Störung der Geschlechtsentwicklung bezeichnet wird.
Wie ist die aktuelle Gesetzeslage und wo besteht noch Handlungsbedarf?
Seit dem 22. Mai 2021 schützt ein Gesetz Kinder mit Varianten der Geschlechtsentwicklung vor geschlechtsverändernden operativen Eingriffen. Darin ist folgendes geregelt:
- Behandlungen von einwilligungsunfähigen Kindern sind verboten, wenn diese allein in der Absicht erfolgen sollen, das körperliche Erscheinungsbild des Kindes an das des männlichen oder weiblichen Geschlechts anzugleichen,
- operative Eingriffe mit einer solchen Folge sind nur möglich, wenn sie nicht bis zu einer selbstbestimmten Entscheidung des Kindes aufgeschoben werden können,
- in der Regel ist eine familiengerichtliche Genehmigung dieser operativen Eingriffe erforderlich, dabei wird das Kindeswohl geprüft,
- dabei kann in einem vereinfachten Verfahren entschieden werden, wenn eine interdisziplinäre Kommission den Eingriff befürwortet hat.
Von Inter*-Organisationen wird bemängelt, dass das Gesetz noch nicht ausreichend Schutz und zu viel Spielraum bietet, wenn Eltern beispielsweise ihre Kinder im Ausland operativ behandeln lassen.
1 Fuchs, Jörg/ Ellerkamp, Verena (2016): „Chirurgische Behandlung weiblicher genitaler Fehlbildungen im Kindesalter“. In: Der Gynäkologe. 2016, 49/2, S. 101-110.
2 Blackless, Melanie [u. a.] (2000): „How sexually dimorphic are we? Review and synthesis“. In: American Journal of Human Biology. 2000, 12, S. 151-166, hier S. 159, auf Grundlage einer Auswertung medizinischer Literatur zu Häufigkeiten im europäisch-amerikanischen Raum; UN (2018): „Fact sheet Intersex“; S. 1. Zuletzt abgerufen am 15.12.2022 von https://www.unfe.org/wp-content/uploads/2017/05/UNFE-Intersex.pdf.
3 Deutsche Gesellschaft für Urologie/Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie/Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie (Hrsg.) (2016): S2k-Leitlinie Varianten der Geschlechtsentwicklung. Zuletzt abgerufen am 19.12.2022 von https://www.aem-online.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/S2k_Geschlechtsentwicklung-Varianten_2016-08_01_1_.pdf; Stellungnahme der Bundesärztekammer „Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Varianten/Störungen der Geschlechtsentwicklung (Disorders of Sex Development, DSD)“. In: Deutsches Ärzteblatt. 30. Januar 2015. Zuletzt abgerufen am 19.12.2022 von https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/_old-files/downloads/pdf-Ordner/Stellungnahmen/BAeK-Stn_DSD.pdf.
4 Klöppel, Ulrike [u. a.] (2019): Häufigkeit normangleichender Operationen
„uneindeutiger“ Genitalien im Kindesalter. Follow Up‐Studie; hier S. 3. Zuletzt abgerufen am 19.12.2022 von https://www.bmfsfj.de/resource/blob/136860/54ea839a1a2894a58ba75db04c7be43b/studie-zu-normangleichenden-operations-ambiguous-genitalia-in-childhood-data.pdf.
5 Bauer, M. & Truffer, D. (2016): Intersex und Selbstbestimmung. In: Geschlechtliche, sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung. Psychosozial-Verlag, S. 137.