Inter*-Biografien: Die eigene Geschichte ans Licht holen
Inter* Personen, die als Säugling, Kind oder Jugendliche*r geschlechtsverändernden Operationen und/oder Hormonbehandlungen unterzogen wurden, finden dies oft erst viele Jahre später heraus. Ihr Umgang mit dieser Entdeckung ist unterschiedlich:
Manche können oder wollen sich damit nicht auseinandersetzen und konzentrieren ihre Kräfte stattdessen auf Gegenwart und Zukunft. Anderen ist es wichtig, die eigene Geschichte zumindest teilweise aus dem Dunkel zu holen. Sie wollen wissen, wie ihr Körper unversehrt ausgesehen hätte und was mit ihnen gemacht wurde, wie Eingriffe begründet wurden oder wer dafür verantwortlich war.
Die Behandlungsgeschichte rekonstruieren
Ein Weg dazu ist, nach der medizinischen Dokumentation früherer Behandlungen zu forschen. Krankenhäuser und Arztpraxen sind gesetzlich verpflichtet, Akten von Patient*innen mindestens zehn Jahre aufzubewahren.
Manche inter* Personen berichten, dass es ihnen nur schwer oder gar nicht mehr gelungen ist, an Kopien ihrer Akten zu gelangen. Der Deutsche Ethikrat forderte daher 2012 eine deutliche Verlängerung der Aufbewahrungsfristen für die Behandlungsakten intergeschlechtlicher Menschen.1 Das „Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ aus dem Jahr 20212 berücksichtigt dies. Denn die Akten von im Kindesalter operierten inter* Personen müssen bis zum Erreichen des Alters von 48 Jahren verwahrt werden.3 Allerdings wurde von Verbänden wie dem LSVD bemängelt, dass das „Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ den geforderten Aufbau eines Zentralregisters zur Erfassung der Behandlungsgeschichte nicht vorsieht.4
Befunde oder andere Dokumente mit komplizierten Fachausdrücken werden zum Beispiel hier kostenlos in verständliches Deutsch „übersetzt“.
Das Mitwissen der eigenen Eltern
Geschlechtsverändernde Eingriffe an Minderjährigen werden fast immer mit Zustimmung der Sorgeberechtigten vorgenommen. Dabei wurde Eltern in der Vergangenheit oft geraten ihrem Kind die eigene Intergeschlechtlichkeit zu verschweigen und damit zusammenhängende Eingriffe zu verschleiern.
In manchen Fällen wurden Eltern vermutlich selbst unzureichend informiert oder fühlten sich unter Druck, einem Eingriff zuzustimmen. Dennoch kann diese Entscheidung die Eltern-Kind-Beziehung später stark belasten oder dauerhaft beschädigen. Viele inter* Personen erleben es als tiefe Verletzung und Vertrauensbruch, dass die eigenen Eltern in diesen Eingriff in ihren kindlichen oder jugendlichen Körper einwilligten, später darüber schwiegen oder sie täuschten.
Um den Schmerz darüber zu verarbeiten, finden inter* Personen dann unterschiedliche Wege: Manche tauschen sich mit anderen inter* Personen aus, nutzen Selbsthilfegruppen oder therapeutische Begleitung. Falls Sie Unterstützungs- und Beratungsbedarf haben, können Sie hier nach einem geeigneten Angebot suchen.
1 Deutscher Ethikrat (2012): Intersexualität. Stellungnahme. Berlin: Eigenverlag, S. 175. Zuletzt abgerufen am 10.01.2023 von https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/DER_StnIntersex_Deu_Online.pdf.
2 Klein, Dennis (2021): „Mit den Stimmen der Großen Koalition. Bundestag beschließt Verbot von Geschlechts-OPs bei Kindern.“ In: https://www.queer.de/. Zuletzt abgerufen am 19.12.2022 von https://www.queer.de/detail.php?article_id=38457.
3 Beckmann, Lea/ Stosch, Fabrizia von (2021): „Zwangsoperationen an intergeschlechtlichen Kindern. Wieviel Schutz bietet das neue Gesetz wirklich?“ In: https://www.lto.de/. Zuletzt abgerufen am 10.01.2023 von https://www.lto.de/recht/justiz/j/gesetz-zum-verbot-geschlechszuweisender-operationen-bei-intergeschlechtlichen-kindern-in-kraft-menschenrechte/.
4 Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) (2021): „Halbherziges Verbot von menschenrechtswidrigen Operationen an intergeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen. Lücken im Gesetzentwurf der Koalition verhindern ausreichenden Schutz.“ In: https://www.lsvd.de/. Zuletzt abgerufen am 08.02.2023 https://www.lsvd.de/de/ct/4741-halbherziges-verbot-von-menschenrechtswidrigen-operationen-an-intergeschlechtlichen-kindern-und-jugendlichen.