Thema
Lebensbereich

Aktuelle Herausforderungen für Regenbogenfamilien

Lesbische Mütter, schwule Väter, trans* Eltern – so bunt und vielfältig der Alltag von Regenbogenfamilien, so zahlreich sind die Herausforderungen, die im alltäglichen Leben bewältigt werden wollen.

Dass Kinder sich in Mütter- und Väterfamilien genauso gut entwickeln wie Kinder, die in Mutter-Vater-Kind-Konstellationen aufwachsen, wurde durch Studien hinlänglich belegt.1 Das „Genauso gut“-Testat bedeutet jedoch nicht, dass das Leben in einer Regenbogenfamilie frei von Herausforderungen ist.

Alle Eltern stehen vor einer Fülle von Herausforderungen. Erzieherische und organisatorische Aufgaben, Versorgung und Erziehung der Kinder oder Pflege der eigenen Eltern bis hin zu der einen oder anderen Beziehungskrise sind nur einige Beispiele. Hinzu kommt in der Regel die Herausforderung, die Erwerbsarbeit auf eine Weise aufzuteilen, die sowohl den Ansprüchen des Arbeitsmarktes als auch der gleichberechtigten Partnerschaft gerecht wird. Das trifft auf Regenbogenfamilien ebenso zu wie auf alle anderen Familienformen.

Auf lesbische Mütter, schwule Väter und trans* Eltern kommen darüber hinaus spezifische Anforderungen zu, die der „etwas anderen Familienstruktur“ entspringen oder die aus der rechtlichen und gesellschaftlichen Ungleichbehandlung von homo- und heterosexuellen (Eltern-)Paaren erwachsen.

Diese regenbogenspezifischen Herausforderungen umfassen unter anderem:

  • die Rechtfertigung des eigenen Kinderwunsches gegenüber dem sozialen Umfeld und der eigenen Herkunftsfamilie,

  • die Grauzonen und Hürden bei der Verwirklichung des Kinderwunsches,

  • die beschriebenen Umwege bei der doppelten rechtlichen Absicherung leiblicher Kinder durch Stiefkindadoption und

  • das Bemühen, die Kinder gegenüber möglichen Diskriminierungen stark zu machen,

  • das alltägliche Comingout als Regenbogenfamilie sowie

  • den allgegenwärtigen Bewährungsdruck, sich als (mindestens) gleichwertige Familienform beweisen zu müssen.

Vorbehalte gegenüber Regenbogenfamilien

Da die Vorbehalte gegenüber sexueller und geschlechtlicher Vielfalt gerade im Kontext von Familie und dem Aufwachsen von Kindern besonders hartnäckig sind, können lesbische Mütter, schwule Väter und trans* Eltern auch heute nicht darauf bauen, dass auch ihnen familienbezogene Vergünstigungen selbstverständlich offenstehen, wie zum Beispiel Familienkarten in Schwimmbädern und Freizeitparks.2

In rechtspopulistischen Debatten werden Regenbogenfamilien nach wie vor diffamiert. Außerdem finden Kinder aus Regenbogenfamilien ihre Familienwirklichkeit mehrheitlich weder in Schulbüchern noch im pädagogischen Alltag wieder. So gehören Kinderbücher, die die Vielfalt von Liebes- und Lebensformen in Deutschland widerspiegeln, nach wie vor nicht zum Standardrepertoire unserer Kitas.

Schule ist nicht nur der Ort, an dem – wie die Forschung zeigt – Kinder aus Regenbogenfamilien die meisten Diskriminierungen erfahren. Sie ist ebenso wie die Kita ein Ort der Wertevermittlung, an dem gesellschaftliche Normen verfestigt oder in Bewegung gebracht werden. Nur wenn Bücher in Schule und Kita Bilder von vielfältigen Lebens- und Liebeswelten vermitteln, können sich alle Kinder und Jugendliche mit dem Eigenen dort identifizieren und mit Fremdem vertraut machen.

Dass dem trotz der Fortschritte in der rechtlichen Gleichstellung von Regenbogenfamilien weiterhin eine große Bedeutung zukommt, zeigt eine repräsentative Studie zu Einstellungen gegenüber lesbischen, schwulen und bisexuellen Menschen in Deutschland, die im Januar 2017 von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes veröffentlich wurde. Obwohl 83 Prozent der befragten Deutschen sich ausdrücklich für die „Ehe für alle“ aussprachen, gaben 40 Prozent der Befragten an, dass es ihnen unangenehm wäre, wenn ihr eigenes Kind lesbisch oder schwul wäre.3

Beratungsangebote

Alle Eltern wollen ihre Kinder stärken. Lesbische Mütter und schwule Väter nutzen für einen souveränen Umgang mit Diskriminierungen eine breite Palette an Möglichkeiten: Diese reichen von der Vernetzung mit anderen Regenbogenfamilien über Gespräche, in denen mit den Kindern individuell passende Verhaltensmöglichkeiten „für den Ernstfall“ durchgespielt werden, bis hin zum Bemühen, selbst ein gutes Rollenmodell zu sein.

Wenn ein Mensch selbst auf eine lange Verletzungsgeschichte zurückblickt, werden neue Diskriminierungen häufig tiefer erlebt und es fällt schwer, einen wie auch immer gearteten souveränen Umgang damit zu finden.

Beim Umgang mit all diesen Herausforderungen kann eine beraterische Unterstützung eine große Hilfe sein. Wenn Regenbogenfamilien sich scheuen, eine Unterstützung durch eine fachkundige Begleitung und Beratung durch lokale Familien- oder Erziehungsberatungsstellen zu nutzen, fußt dies häufig in der Sorge, dass Berater*innen zu wenig über ihre Familienform wissen und ihnen mit Vorbehalten begegnen könnten.

Von Juli 2015 bis Juni 2018 wurde das Modellprojekt „Beratungskompetenz zu Regenbogenfamilien“ vom Lesben- und Schwulenverband durchgeführt. In diesem vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderten Projekt wurde bundesweit Berater*innen die Möglichkeit gegeben, sich in Fortbildungen mit den aktuellen Herausforderungen und Potenzialen von Regenbogenfamilien vertraut zu machen.

Mit den Themen der sexuellen Identität und der Vielfalt von Familienformen muss in der Beratung professionell und diskriminierungsfrei umgegangen werden. Um dies zu ermöglichen, ist es über einen reinen Wissenserwerb hinaus unerlässlich, auch den eigenen Gefühlen, Vorurteilen und Werten in Bezug auf diese junge Familienform nachzuspüren und sich dabei der Relativität eigener Vorstellungen und Wertmaßstäbe bewusst zu werden.4

In den Schulungen hat sich gezeigt, dass eigene Geschlechterrollenkonzepte und damit verbundene Vorstellungen von Elternrollen für die Akzeptanz von Regenbogenfamilien von großer Bedeutung sind. Ebenso ist es notwendig, sich bewusst zu machen, dass durch medizinische Entwicklungen traditionelle Vorstellungen von Reproduktion in Frage gestellt werden – und sich somit das, was traditionell unter „Familie“ verstanden wurde, verändert.

Spezialfall: Regenbogenfamilie durch ein spätes Comingout

Kinder in Regenbogenfamilien stammen häufig aus früheren heterosexuellen Bezügen ihrer heute lesbisch oder schwul lebenden Eltern. Daher gehört ein sogenanntes „spätes Comingout“ nach wie vor zur Biografie mancher Regenbogenfamilien. Diese Familien suchen häufig Unterstützung im beraterischen Kontext.

Bei Trennungen heterosexueller Paare steht für die Kinder meist der mögliche Verlust eines Elternteils im Vordergrund. Ein spätes Comingout fordert allerdings sowohl auf der Paar- als auch der Elternebene eine Auseinandersetzung mit sehr spezifischen Themen.5

Umgang mit einem späten Comingout als Paar

Im ersten Jahr ist die Auseinandersetzung mit einem späten Comingout überwiegend durch emotionale Themen bestimmt: durch die Ungewissheit darüber, ob die Ehe bloß ein „Alibi“ war, durch Schuldgefühle über die Entwicklung der eigenen Homosexualität oder durch Sorge um die Kinder oder deren Diskriminierung.

Wenn ein*e Partner*in einer langfristigen heterosexuellen Beziehung erfährt, dass seine Frau oder ihr Mann homosexuell ist, beginnt in der Regel ein schwieriger und langwieriger Prozess der Bewältigung dieser Offenbarung. Auf einen Schlag ist alles nicht mehr stimmig. Die Bewältigung eines späten Comingouts ist immer von vielen Faktoren abhängig und trägt immer individuelle Züge.

Im Trauerprozess durchlaufen die Verlassenen Phasen, die ähnlich der Trennungsphasen heterosexueller Paare verlaufen. Diese reichen von Leugnung der Offenbarung über den Versuch, sein*e Partner*in zurückzugewinnen, bis hin zu vielleicht erst zeitlicher, dann räumlicher Trennung und zu einem endgültigen Neubeginn.

Die Entscheidung, inwieweit eine Ehe oder Beziehung nach einem Comingout aufrecht erhalten wird, fällt sehr unterschiedlich aus: Manche Paare lassen sich scheiden, andere trennen sich, bleiben aber verheiratet. Manche schaffen es, „nur" die Elternebene aufrechtzuerhalten, andere bleiben sich freundschaftlich verbunden, und wieder anderen bereitet das weitere elterliche Miteinander bereits große Probleme.

Die klare Verortung der eigenen, gewandelten sexuellen Identität ist bei einem späten Comingout besonders wichtig. Dies gilt nicht nur für die Person selbst, sondern auch für die heterosexuellen Partner*innen, damit diese für sich Klarheit über den weiteren Weg als Paar gewinnen können.

Bei einer langjährigen Partnerschaft sind die heterosexuellen Partner*innen häufig versucht, den Wandel des Begehrens als Bisexualität zu interpretieren. Dies beruht häufig auf der Hoffnung, dass die vielen Jahre ihrer Zusammengehörigkeit ausreichen, um die*den Partner*in halten zu können.

Spätestens bei einer Trennung sind die Ex-(Ehe-)Paare gefordert, gemeinsam zu entscheiden, wer, wann und in welchem Umfang über die Trennungshintergründe informiert werden soll. Nicht nur die Spätgeouteten müssen ihre gewandelte sexuelle Identität öffentlich machen.

Auch die heterosexuellen Partner*innen müssen sich diesem Comingout-Prozess stellen, wenn sie weiterhin in Kontakt mit ihren Familien und ihrem bisherigen heterosexuellen Freundeskreis bleiben wollen und dabei die homosexuelle Lebensweise der (Ex-)Partner*innen nicht dauerhaft verheimlichen wollen.

Der Comingout-Prozess ist ein lebenslanger Prozess. Lesben und Schwule sind beständig gefordert, immer wieder kontextabhängig zu entschieden, ob sie ihre Liebes- und Lebensweise zeigen und nach außen vertreten wollen. In dieses Abwägen ist bei einem späten Comingout oft das gesamte Familiensystem involviert.

Umgang mit einem späten Comingout als Eltern

Wenn zu einer Partnerschaft zum Zeitpunkt einer Trennung Kinder gehören, gibt es Herausforderungen, die die Beteiligten als Eltern mit und gegenüber ihren Kindern bewältigen müssen. Im Falle eines späten Comingouts sind Eltern und Kinder mit zusätzlichen Herausforderungen konfrontiert.

Die Eltern müssen den Zeitpunkt und die Form zur Mitteilung des späten Comingouts gegenüber den Kindern wählen. Die Kinder sind gefordert, das Comingout des homosexuellen Elternteils verstehen und akzeptieren zu lernen. Diese Aufgabe bewältigen Eltern und Kinder am besten gemeinsam.

Die gemeinsame Ausgestaltung von Elternschaft gelingt besser, wenn der heterosexuelle Elternteil sich zuvor mit dem breiten Spektrum an Lebensformen und Verhaltensweisen von Lesben und Schwulen vertraut gemacht hat und damit mögliche Klischees und Vorbehalte abgebaut werden konnten.

Wie dieser Moment der Offenbarung gestaltet wird – also durch wen die Kinder wo und wie von der Homosexualität des Elternteils erfahren –, ist hierbei nicht unerheblich dafür, wie die Kinder diese Information verarbeiten. Auch sind Eltern und Kinder bei der Annahme und Verarbeitung des Comingout–Prozesses unterschiedlich schnell und unterschiedlich schutzbedürftig.

Bei der Kommunikation des späten Comingouts gegenüber außerfamiliären Bezugspersonen durch die Eltern muss daher auch die Entscheidung der Kinder, wann das Comingout nach außen wie offen vertreten werden darf oder soll, berücksichtigt werden.

In dem Maße, in dem ein Familiensystem den anfänglichen Schock überwindet, sich dem Comingout-Prozess stellt und die Kinder erleben, dass die Eltern ihre Eltern bleiben, können die Kinder erfahren, dass vielfältige Formen von Familie ein guter Lebensraum sein können. Kinder aus spät geouteten Regenbogenfamilien berichten davon, dass sie gerade hierdurch eine positive Haltung zur Vielfalt aufbauen konnten und sich dadurch bereichert fühlen.

Wie in allen Patchworkfamilien ist es auch in einer Regenbogenfamilie nach einem späten Comingout wichtig, dass ...

  • Kinder über ihre Ursprungsfamilien ebenso gut sprechen können wie über diejenige Familie, in der sie gerade leben.

  • Kinder alle ihre Eltern gleichermaßen lieben dürfen, ohne Gefahr zu laufen, jemanden dadurch zu verletzen.

  • Kindern das Gefühl gegeben wird, auf ihr eigenes Leben Einfluss nehmen zu können. Dazu sollten Eltern ihnen ermöglichen, mit dem*der neuen Partner*in im eigenen Tempo eine Beziehung aufzubauen.

  • Kinder die Bezeichnungen oder Namen für die Mitglieder in den neuen Familienkonstellationen selbst wählen dürfen und die Eltern diese Bezeichnungen aufgreifen.

  • der Kontakt mit anderen Kindern aus Regebogenfamilien und somit der Comingout-Prozess der Kinder gefördert wird.

1 Rupp, M. (Hrsg.) (2009): Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften. Köln: Bundesanzeiger-Verl.-Ges., S. 53; Jansen, Elke (2014): Vom Sein und Werden – Aufwachsen in einer Regenbogenfamilie. In: Jansen, Elke/Bruns, M./Greib, A/Herbertz-Floßdorf, M. (2014): Regenbogenfamilien – Alltäglich und doch anders. Beratungsführer für lesbische Mütter, schwule Väter und familienbezogene Fachkräfte. 2. Auflage. Köln: Familien- und Sozialverein des LSVD, S. 143-157.

Siehe zu den nachfolgenden Ausführungen auch Jansen, Elke/Jansen, Kornelia (2018): Sind nicht alle Familien bunt? Ein Trainingsmanual – berührend • leicht • wirksam. Herausgegeben vom Familien- und Sozialverein des LSVD. Zuletzt abgerufen am 18.09.2018 von www.regenbogenkompetenz.de/wp-content/uploads/2018/07/LSVD_TM_-RBF-Kompetenz.pdf.

Küpper, Beate/Klocke, Ulrich/Hoffmann, Lena-Carlotta (2017): Einstellungen gegenüber lesbischen, schwulen und bisexuellen Menschen in Deutschland. Ergebnisse einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage. In: Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Januar 2017. Zuletzt abgerufen am 07.05.2018 von  https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Umfragen/Handout_Themenjahrumfrage_2017.pdf?__blob=publicationFile&v=3.

Jansen, Elke/Jansen, Kornelia (2018): Sind nicht alle Familien bunt? Ein Trainingsmanual – berührend • leicht • wirksam. Herausgegeben vom Familien- und Sozialverein des LSVD. Zuletzt abgerufen am 18.09.2018 von http://www.regenbogenkompetenz.de/wp-content/uploads/2018/07/LSVD_TM_-RBF-Kompetenz.pdf

Siehe zu den nachfolgenden Ausführungen Jansen, Elke/Jansen, Kornelia (2016): Handout des Moduls Wandel(n) des Begehren(s). Internes Schulungsmaterial im Rahmen des Trainings Sind nicht alle Familien bunt? Beratungskompetenz zu Regenbogenfamilien. Köln. Siehe auch Jansen, Elke/Jansen, Kornelia (2018): Sind nicht alle Familien bunt? Ein Trainingsmanual – berührend • leicht • wirksam. Herausgegeben vom Familien- und Sozialverein des LSVD.

 

Autorinnen: Dr. Elke Jansen & Kornelia Jansen

Kurzbiografien: 

Dr. Elke Jansen, Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin. Sie leitet seit gut 15 Jahren das Projekt „Regenbogenfamilien“ im LSVD (www.family.lsvd.de) und seit 2015 das Modellprojekt „Beratungskompetenz zu Regenbogenfamilien“ (www.regenbogenkompetenz.de). Sie blickt auf eine lange Beratungspraxis mit Regenbogenfamilien zurück und ist Autorin vielfältiger Publikationen rund um lesbische Mütter, schwule Väter und ihre Kinder. Seit 20 Jahren ist sie als Therapeutin in eigener Praxis tätig.

Kornelia Jansen, Diplom-Sozialpädagogin und Systemische Familienberaterin (DGSF), arbeitet seit vielen Jahren mit Familien in verschiedenen Kontexten und begleitet (werdende) Regenbogenfamilien in Beratung und Training. Neben ihrer Tätigkeit als stellvertretende Leiterin des Projektes „Beratungskompetenz zu Regenbogenfamilien“ ist sie als Beraterin, Trainerin und Supervisorin tätig in eigener Praxis (www.blickwechsel-im-system.de).

Auch interessant