Intergeschlechtlichkeit als Thema in Journalismus und Medien
Bis zu 1,7 Prozent1 der Bevölkerung sind inter*. Medial sind sie immer noch viel zu wenig repräsentiert. Umso wichtiger ist es, dass einzelne Beiträge zum Thema sachlich korrekt und respektvoll ausfallen.
Viele gängige Sprech- und Schreibweisen im Kontext Intergeschlechtlichkeit illustrieren nach wie vor bestehende Unsicherheiten, möglicherweise auch Unkenntnis. Dies kann mitunter auch als fehlende Anerkennung der Geschlechtsidentität von inter* Personen verstanden werden, die diese auch auf anderen Ebenen erleben: fehlende Anerkennung ihres körperlichen Geschlechts, ihres Rechts auf körperliche Integrität und Teilhabe, aber auch der Menschenrechtsverletzungen, die ihnen widerfahren.
Um respektvoll und sachlich angemessen zu schreiben und darzustellen, sollten Sie Formulierungen vermeiden,
- die inter* Körper als defizitär erscheinen lassen: „Mangel“, „Defekt“, „Fehlbildung“, „uneindeutig“;
- die Intergeschlechtlichkeit außerhalb des natürlichen Spektrums von Geschlecht beim Menschen stellen: „Anomalie“, betonte „Besonderheit“ oder auch Anleihen aus dem Reich der Mythen oder Tiere;
- die Gewalterlebnisse verharmlosen: etwa „geschlechtsangleichende“ oder „vereindeutigende“ Operation oder „Korrektur“, wenn es um einen nicht-eingewilligten Eingriff in die körperliche Integrität geht.
Teilweise hat die Inter*-Menschenrechtsbewegung neue Begriffe, wie zum Beispiel „Variationen der Geschlechtsmerkmale“ geschaffen, an denen Sie sich orientieren können. Andere benutzen aus der Medizin stammende Wörter – aus Gewohnheit oder um überhaupt verstanden zu werden. Sollten Ihnen Personen begegnen, die sich selbstbewusst „Zwitter“ oder „Herm“ nennen, dann sollten Sie das nicht als Freifahrtschein auffassen, ihrerseits Menschen mit diesen ursprünglich abwertenden Begriffen zu belegen.
Es genau nehmen
Intergeschlechtlichkeit ist eine angeborene körperliche Eigenschaft und nicht zu verwechseln mit Transgeschlechtlichkeit. Inter* Menschen sind individuell verschieden. Sie haben nicht per se eine nicht-binäre Identität; für manche gilt das, viele andere sind einfach Männer oder Frauen.
Nichtsdestotrotz werden immer wieder Artikel zu inter* Themen mit schillernd androgyn gestylten Personen oder gar einer Kombination von Toilettensymbolen bebildert. Oder jemand wird sensationsheischend als „nicht Mann, nicht Frau“ angekündigt, allein weil ihr oder sein Körper intergeschlechtlich ist.
Sich bei den Expert*innen informieren
Mit den Anliegen und Lebensrealitäten von inter* Menschen kennen sich diese selbst und ihre Selbstvertretungsorganisationen am besten aus; Ähnliches gilt für die Auswirkungen gesetzlicher und medizinisch-fachwissenschaftlicher Neuerungen auf ihre tatsächlichen Lebenssituationen. Nutzen Sie diese Expertise, auch, um folgende verbreitete Schieflage zu vermeiden: Fragen der Geschlechtsidentität oder des Personenstandsrechts mögen populärer, griffiger und leichter zu vermitteln sein; für die meisten inter* Menschen sind sie – gegenüber dem Schutz ihrer körperlichen Unversehrtheit oder ihren Teilhabechancen – nachrangig. Wenn Sie weitere Fragen haben, finden Sie hier Hinweise zu Selbstvertretungsorganisationen: https://www.regenbogenportal.de/angebote?angebot=interessenverband.
Der Aufwand lohnt sich
In Schule und Ausbildung findet eine adäquate Wissensvermittlung immer noch eher selten statt. Auch mag der Zugang zu bzw. die Verfügbarkeit von seriösem und fachlich fundiertem Material noch unzureichend sein. In der jüngeren Vergangenheit ist hier aber durchaus etwas in Bewegung gekommen, so dass es lohnend sein kann, eine aufwändigere Quellenrecherche zu betreiben. Beispielhaft seien folgende jüngere Publikationen erwähnt:
- Dialogforum Geschlechtliche Vielfalt (2021): Gesetzlicher Beratungsanspruch für trans*-, intergeschlechtliche und/oder nicht-binäre Menschen und ihre Angehörigen. Positionspapier des Dialogforums Geschlechtliche Vielfalt.
- Neue Deutsche Medienmacher*innen [u. a.] (2021): Wie deutsche Medien noch mehr Vielfalt schaffen. Intersektionaler Online-Guide für Medienprofis.
- Urban, Maria [u. a.] (2022): Sexuelle Bildung für das Lehramt. Zur Notwendigkeit der Professionalisierung.
- Voß, Heinz-Jürgen (2022): Einführung in die Sexualpädagogik und Sexuelle Bildung. Basisbuch für Studium und Weiterbildung.
1 Pöge, Kathleen [u. a.] (2022): „Erhebung geschlechtlicher Diversität in der Studie GEDA 2019/2020-EHIS – Ziele, Vorgehen und Erfahrungen. In: Journal of Health Monitoring, Jahrgang 7, Heft 2. Zuletzt abgerufen am 17.01.2023 von https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/ConceptsMethods/JHealthMonit_2022_02_Geschlechtliche_Diversitaet.pdf?__blob=publicationFile; UN (2018): „Fact sheet Intersex“; S. 1. In: https://www.unfe.org/. Zuletzt abgerufen am 15.12.2022 von https://www.unfe.org/wp-content/uploads/2017/05/UNFE-Intersex.pdf.